Haucap J., C. Kehder und I. Loebert
Eine Studie im Auftrag derInitiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) GmbH.
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Zusammenfassung
Das Schlagwort Bürokratie ist zumindest umgangssprachlich zu einem Schimpfwort geworden, das kaum jemand mit positiven Konnotationen verbindet. Dabei ist Bürokratie keineswegs per se schlecht. Nach Max Weber ist mit Bürokratie die Verwaltung gemeint, die Entscheidungen nach Gesetz und Vorschrift, Geplantheit und Genauigkeit sowie Routinisierung hierarchisch ausführt. Entscheidungen in Hierarchien anhand von Vorschriften und Routinen gibt es dabei nicht nur in öffentlichen Behörden, sondern auch in privaten Unternehmen. Je größer Unternehmen sind, desto größer ist die Rolle von Vorschriften und Routinen und somit auch von Bürokratie. Der große Unterschied zwischen privaten Unternehmen und öffentlichen Behörden ist jedoch, dass Unternehmen sowohl durch den Wettbewerb auf den Produktmärkten als auch den Druck der Kapitalmärkte fortwährend zur Effizienz gezwungen werden und somit Unternehmen auch ihre internen Entscheidungsprozesse immer wieder auf den Prüfstand stellen müssen, wollen sie nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Tun sie dies nicht, drohen Unternehmen Im öffentlichen Sektor fehlen diese externen Disziplinierungsinstrumente. Ineffizienzen können sich viel stärker ausbreiten, ohne dass es zu einer automatischen Korrektur käme.
Gleichwohl ist öffentliche Bürokratie keineswegs per se überflüssig. Sie kann und soll Rechts- und Planungssicherheit schaffen, Korruption und Willkür entgegenwirken und zum Schutz des Wettbewerbs auf Märkten beitragen (vgl. Icks und Welter, 2022, S. 7). Überbordende Bürokratie führt jedoch dazu, dass die Skepsis hinsichtlich des Nutzens der Bürokratie im Allgemeinen wächst und die Vorteile dieser verkannt und im Extremfall sogar ganz in Frage gestellt werden. In der Konsequenz leidet die Akzeptanz öffentlichen Verwaltungshandelns, was eine Schwächung der Rechtsstaatlichkeit und Akzeptanz des wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmens zur Folge haben kann.
In Deutschland stehen viele Unternehmen dem Nutzen der öffentlichen Bürokratie inzwischen skeptisch gegenüber (vgl. Holz et al. 2019, S. 24-28). Dies verwundert nicht. Deutschland hat eine der höchsten Regulierungsintensitäten im internationalen Vergleich (vgl. ZEW und Calculus Consult, 2023, S. 36). Die Ursachen für das Wachstum der öffentlichen Bürokratie sind vielfältig. Ein Grund für ihr Ausufern sind die fehlenden Anreize der öffentlichen Verwaltung, Bürokratie abzubauen und damit Tätigkeitsgebiete abzugeben, da dies zur Reduzierung der Planstellen und des ihnen zur Verfügung stehenden Budgets führen und ggf. die Bedeutung der Behörde reduzieren würde. Anstelle eines Bürokratieabbaus ist es für Bürokraten rational, immer weitere Aufgaben an sich zu ziehen, um so weitere Planstellen zu generieren und letztlich Bürokratie weiter aufzublähen und Entscheidungsbefugnisse auszuweiten, um die Behörde in ihrer Bedeutung aufzuwerten (vgl. hierzu auch Wirtschaftsrat Deutschland, 2022, S. 7; Haucap, 2022, S. 598; Meyer, 2023, S. 15).
Ein weiterer Faktor für das Anwachsen der Bürokratie ist der Impuls in der Politik, vermeintlich neuen Problemen mit immer neuer Regulierung zu begegnen, welche Bürokratie nach sich zieht. Durch Regulierungseingriffe kann die Politik Probleme vermeintlich kostenlos adressieren, da die Kosten der Maßnahme nicht unmittelbar die öffentlichen Haushalte belasten. Gleichzeitig besteht ein deutlich geringerer Anreiz, überholte Regulierungen wieder abzuschaffen, weil die mit einer Entbürokratisierung verbundenen Vorteile breit gestreut sind, im Einzelfall wenig spürbar sind und sich die Vorteile oft erst mit zeitlicher Verzögerung einstellen. Des Weiteren weisen rechtsanwendende Behörden regelmäßig eine hohe Risikoaversion auf, die in einer restriktiven Auslegung von Verwaltungsvorschriften mündet. Zudem lässt sich häufig eine unzureichende Beachtung der praktischen Durchführbarkeit von Regulierungen beobachten, die Unternehmen vor enorme Herausforderungen stellt. Ferner behindert die nur langsam voranschreitende Digitalisierung des Verwaltungsapparats die Straffung und Beschleunigung der Prozesse. Digitalisierung ist jedoch wichtig, um den Erfüllungsaufwand für alle Beteiligten zu begrenzen. Ein Ordnungsrahmen mit klaren Regeln ist wichtig für die Funktionsfähigkeit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Allerdings muss dieser Rahmen effizient sein. Andernfalls beeinträchtigt er die Wettbewerbs- und Wachstumsfähigkeit der Unternehmen, indem er ihre Investitionsmöglichkeiten in die Erforschung neuer Produkte und Produktionsprozesse sowie in die Erneuerung und Erweiterung von Produktionskapazitäten reduziert. Dies ist äußerst kritisch, da die Unternehmen aktuell vor großen Herausforderungen stehen. Dazu gehören insbesondere die Digitalisierung sowie steigende Energiekosten. Zudem verschärft überbordende Bürokratie den Arbeitskräftemangel in Unternehmen. Ein Übermaß an Regulierung wirkt sich zudem negativ auf die Volkswirtschaft insgesamt aus. Die wachsende Bürokratie in Deutschland wird zunehmend als Wachstumsbremse und Markteintrittsbarriere gesehen, sodass Deutschland als Unternehmensstandort an Attraktivität verliert. Die Unternehmensansiedlungen wie auch Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen sind jedoch wichtig. Sie begünstigen die Entstehung neuer Arbeitsplätze und schaffen Impulse für Innovationen. Ein Übermaß an Regulierung verhindert nicht nur Unternehmensansiedlungen und Investitionen, sondern es begünstigt auch die Abwanderung von Unternehmen ins Ausland, indem sie z. B. die Forschung behindert. So hat etwa BioNTech die Verlagerung der Krebsforschung nach Großbritannien explizit mit forschungsfreundlicheren Rahmenbedingungen als in Deutschland motiviert.
Werden Forschung, Entwicklung und Fortschritt ausgebremst, lassen sich wichtige Zukunftsprojekte weniger gut realisieren, wie es sich aktuell z. B. in der Gesundheitsbranche zeigt. Bürokratie erschwert zudem die nachhaltige Transformation der Wirtschaft und ist dafür verantwortlich, dass die Politik ihre eigenen Ziele im Bereich des Klimaschutzes verfehlt. Verschärfend kommt hinzu, dass die Bürokratisierung auch den administrativen Aufwand in der öffentlichen Verwaltung erhöht, weshalb ein höheres Steueraufkommen zur Finanzierung der öffentlichen Verwaltung benötigt wird. Dieses Geld fehlt dann für anderweitige Investitionen des Staates, wie z. B. in die Instandsetzung der Infrastruktur, was der Volkswirtschaft zusätzlich schadet.
Um dem Bürokratiewachstum entgegenzuwirken und die Bürokratie auf das notwendige Minimum zu beschränken, bedarf es einer Kostenerstattungspflicht bei staatlichen Auskunftspflichten für Unternehmen, einer Verpflichtung zu regelmäßigem Verwaltungs-Benchmarking einschließlich der Ergebnisveröffentlichung, sowie der Digitalisierung des Verwaltungsapparates. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit der sunset legislation – also die Etablierung von Verfallsdaten für Regulierungen einschließlich der Evaluation der Regulierung – stärker als bisher in Betracht gezogen werden.
Der Abbau überflüssiger Bürokratie kann die Unternehmen stärken, die Staatsausgaben für die öffentliche Verwaltung begrenzen und das Wachstum der Volkswirtschaft in Deutschland begünstigen, nicht zuletzt weil Bürokratieabbau auch die Politik in die Lage versetzt, die Umsetzung wichtiger Zukunftsprojekte zu beschleunigen.